KURZKOMMENTARE
Zollpolitik: Unreflektiert und aktionistisch pro US-Industrie
Ein zentrales und gut kommuniziertes Ziel der US-Wirtschaftspolitik ist der Ausbau der heimischen Industrie. Von den rund 160 Millionen Beschäftigten in den USA arbeiten 138 Millionen im Dienstleistungssektor (inkl. Staatsangestellte) und 22 Millionen in der Industrie (inkl. Bausektor). Der Anteil der in der Industrie Beschäftigen ist von knapp 35% im Jahr 1965 auf 14% im Jahr 2010 gesunken und seither auf diesem Niveau etwa stabil geblieben. Der Ausbau der Industrie ist selbstredend ein rückwärtsgerichtetes Anliegen, das bei wichtigen Teilen der Wählerschaft von Donald Trump aber gut ankommt.
Um den Anteil der Industrie in der US-Wirtschaft zu erhöhen, so die simple Überlegung, müssen die Güterimporte sinken und die Güterexporte steigen (der Aussenhandel mit Dienstleistungen spielt hier keine Rolle). Die Güterimporte sinken, wenn die Zölle erhöht werden, was in den USA medienwirksam, und gleichzeitig unreflektiert bezüglich der Folgen, inszeniert wurde. Als Nebeneffekt soll der Anteil der Zölle am Einnahme-Mix der US-Bundesregierung steigen. Damit US-Produkte international wettbewerbsfähiger werden, könnten Massnahmen zur Schwächung des Dollars im Raum stehen, etwa im Rahmen eines, offiziell bislang allerdings nicht bestätigten, sog. «Mar-a-Lago-Abkommens».
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Umbau der US-Wirtschaft in Richtung eines höheren Anteils der Industrieproduktion mit Anpassungskosten und Wohlstandsverlusten für weite Teile der Bevölkerung verbunden ist. Die Produktion und die Beschäftigung im Industriesektor können allerdings nur steigen, wenn sich die Weltwirtschaft in einigermassen geordneten Bahnen entwickelt.
Weltwirtschaft
Das Wachstumsmomentumverschiebt sich Richtung Europa. Ein kräftiger Fiskalimpuls aus Deutschlands neuem Infrastrukturfonds erhöht die mittelfristigen Wachstumsperspektiven erheblich, während anstehende US-Zollerhöhungen auf Importen aus Europa v.a. in diesem Jahr belasten dürften.
Die US-Konjunktur ist vergleichsweise robust, während Umfragedaten auf gestiegene Unsicherheiten bei Unternehmen und Verbrauchern hinweisen. Die Nachrichtenlage wird weiterhin von einer Vielzahl von Ankündigungen der neuen US-Regierung geprägt, wobei erst im Zeitablauf erkennbar wird, welche Massnahmen Bestand und einen Einfluss auf die Wirtschaft haben, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der USA. Die Importzölle werden künftig aber absehbar höher sein als Anfang Jahr.
Anlagestrategie: Positives Momentum Europa
Der Nachrichtenfluss für die Kapitalmärkte war unlängst uneinheitlich. In Europa scheint sich der Industriesektor, v.a. auch in Deutschland, nach einem anhaltenden Abschwung zu stabilisieren, was aus Kapitalmarktsicht als positives Signal zu werten ist. In den USA hat der Industriesektor unlängst zugelegt, wobei unklar ist, wieviel davon einer vorgezogenen Produktion in Erwartung höherer Importzölle für Zwischenprodukte geschuldet ist. Anders als befürchtet hat die Hektik, mit der die neue US-Administration ihre Ziele, besonders auch im Aussenhandel, vorantreibt, bisher wenig Spuren in Europas Umfragen, etwa den Einkaufsmanager-Daten, hinterlassen. In den US-Daten sind demgegenüber Zeichen diesbezüglicher Unsicherheiten erkennbar.
Dass erhöhte Unsicherheiten seitens Unternehmen und Verbrauchern die derzeit robuste US-Konjunktur spürbar belasten, ist nicht zwingend, aber ein Risikofaktor, der im Auge behalten werden muss. Vor diesem Hintergrund bietet sich weiterhin eine neutrale Aktiengewichtung an.
Die aktuelle Datenkonstellation spricht leicht zu Gunsten von Europas Börsen. Nach Jahren relativer Börsenschwäche bestünde an sich Aufholpotenzial. Dafür müsste sich Europas Konjunktur festigen, besonders im Industriebereich. Auch müssten Unternehmen und private Haushalte ihr derzeit überaus zurückhaltendes Ausgabeverhalten ablegen. Unter den wichtigsten Börsenregionen bleibt der US-Markt mittelfristig aufgrund des höheren Wachstums der Wirtschaft, der Entwicklung der Unternehmensgewinne und der grossen Zahl global führender Qualitätsunternehmen am besten positioniert. Für das aufstrebende Asien (MSCI Emerging Asia) sehen wir mittelfristig eine ähnliche Entwicklung wie in Europa, mit etwas höherer Volatilität.
An den Anleihemärkten Europas besteht, trotz Zinssenkungen, nur noch wenig Raum für tiefere Renditen und damit Kursgewinne. Unternehmensanleihen bleiben neben Staatsanleihen interessant, solange sich die Konjunktur zumindest verhalten positiv entwickelt. Vor dem Hintergrund eines gewissen Verlusts an konjunkturellem Momentum bestehen derzeit in den USA Chancen auf Kapitalgewinne bei Staatsanleihen. Basierend auf einer restriktiveren Geldpolitik in den USA als in Europa erachten wir den US-Dollar weiterhin als gut gestützt, wobei die Datenlage derzeit nicht mehr gleich stark zu Gunsten des Dollars spricht wie noch vor einigen Wochen. (März 2025)
Korrektur der KI-Infrastruktur-Anbieter im Januar
Seit einigen Monaten ist es zusehendes offensichtlicher geworden, dass es Möglichkeiten gibt, LLMs (Large Language Models), die das Rückgrat von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) bilden, mit weit weniger Ressourcen zu trainieren – insbesondere was den Einsatz von High-End-Chips betrifft – als dies dem aktuellen Standard entspricht. Im Fokus steht derzeit DeepSeek(DS), ein zwei Jahre altes Startup-Unternehmen aus China. Ihre jüngste App, die seit Januar verfügbar ist, wurde zur am häufigsten heruntergeladenen App in Apples App Store, was an die Zeit erinnert, als ChatGPTvor über zwei Jahren breit zugänglich gemacht wurde.
Es ist zwar unklar, wie hoch die genauen Trainings-Kosten von DS sind, aber es scheint, dass sie um ein Vielfaches tiefer liegen als dies bislang der Fall war. Günstigere KI-Lösungen haben viele Vorteile. Die Zahl der KI-Anwendungen und die Nachfrage steigen bei tieferen Preisen, und günstigere Produkte sind positiv für die Nutzer, d.h. Konsumenten und Unternehmen. DS ist nicht gewinnorientiert (wie dies anfänglich auch OpenAI, der Entwickler von ChatGPT, war). Der Code ist Open-Source und kann frei verwendet werden. Wenn die Preise für KI-Lösungen markant günstiger werden, ist es nicht klar, ob der Gesamtkuchen wachsen wird, es ist aber anzunehmen, ähnlich wie der Umsatz mit Computern zunahm, obwohl die Preise in den letzten Jahrzehnten gesunken sind.
Wahrscheinlich ist gleichzeitig, dass führende Technologieunternehmen die Ausgabenpläne für Rechenzentren überdenken werden, was zumindest eine Nachfragedelle – nicht unmittelbar, aber wohl im späteren Jahresverlauf – bedeutet, insbesondere für die Hersteller von KI-Chips (allen voran Nvidia, aber auch z.B. Broadcom, und der führende holländische High-End-Chip-Maschinenersteller ASML). Betroffen sind auch Cloud-Anbieter (Microsoft, Alphabet und Amazon), aber wohl in geringem Mass, Industrieunternehmen, die von KI profitieren (Bsp. Schneider Electric, Siemens und Amphenol), und sogar Elektrizitätsversorger. Umgekehrt könnten die Technologiebudgets für Digitalisierungsprojekte ausserhalb der KI wieder steigen. Am Markt geht man davon aus. So hat eine Reihe von Technologieaktien von Nicht-KI-Anbietern während des KI-Infrastruktur-Ausverkaufs zulegen können.
Da das Segment der KI-Infrastruktur-Anbieter überschaubar ist, erachten wir deren Korrektur nicht zwingend als negativ für den Gesamtmarkt. Die relative Position von Europa verbessert sich (KI-Infrastruktur-Anbieter haben ein grösseres Gewicht in US-Indizes), wobei eine Outperformance Europas nicht garantiert ist (Stichwort US-Zölle). (Februar 2025)
US-Zollpolitik wieder im Fokus
Die konjunkturelle Entwicklung in den für die globalen Kapitalmärkte wichtigsten Regionen folgt seit Jahren dem Muster, wonach das Wirtschaftswachstum in den USA robust ist, während Europa und China am unteren Ende der Erwartungen zulegen – in China mit strukturell abnehmenden Wachstumsraten. In Europa wäre das Wachstumspotenzial höher, wenn die Konsumenten die derzeit klar positiven realen, d.h. inflationsbereinigten, Einkommenszuwächse nicht primär sparen würden. China bleibt v.a. aufgrund unbereinigter Fehlallokationen im Immobilienbereich noch für Jahre gefordert, wobei die Wirtschaft im Schlussquartal von Sonderfaktoren – Stimulus-Massnahmen der Regierung und Vorabkäufe von US-Importeuren in Erwartung steigender Zölle – profitiert hat.
Der Zoll-Rhetorik des US-Präsidenten folgten erste Massnahmen. Ab dem 4. Februar erheben die USA Zölle von 25 Prozent auf Einfuhren aus Kanada (mit reduziertem Satz von 10% auf Energieprodukten) und Mexiko. Auf Importen aus China gelten zusätzliche Zölle von 10 Prozent. Während das US-Handelsbilanzdefizit mit China nach der Zollrunde 2018 stark an Bedeutung verloren hat, ist jenes mit Mexiko und Kanada in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Ein neuer Handelsvertrag USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement, der Nachfolger von NAFTA) mit deutlich geringeren Handelsbilanz-Fehlbeträgen dürfte das Ziel der US-Regierung sein. Die Abwehrstrategien von Kanada und Mexiko basieren auf selektiven Zollerhöhungen auf Importen aus den USA oder Exporten in die USA, um damit gezielt die republikanische Wählerbasis, v.a. in den Swing-States, zu treffen. Beide Länder waren damit 2018 erfolgreich, und der damalige Präsident Trump hatte nachgegeben. Wie lange die erhöhten Zölle der USA in Kraft bleiben ist unklar. Unklar ist auch, welchen Lobby-Gruppen der USA es gelingt, Ausnahmen zu erwirken. Höhere Zölle verteuern Güter in den USA. Der Effekt hängt aber wesentlich davon ab, ob die Importeure oder die Konsumenten die Zölle absorbieren und welche Möglichkeiten des Ausweichens auf andere Anbieter bestehen. Wir gehen davon aus, dass die derzeit sehr robuste US-Wirtschaft gewisse Schocks absorbieren kann und dass eine spürbar schwächere US-Konjunktur nicht im Interesse der US-Regierung liegt.
Zollerhöhungen auf US-Importen aus Europa stehen ebenso an, wobei hier derzeit kein Zeitplan erkennbar ist. Die Schwäche der europäischen Währungen gegenüber dem US-Dollar ist ein Puffer, der einstellige Zollerhöhungen absorbieren kann. Das Risikoszenario ausgehend von der US-Handelspolitik bleibt, dass das Wirtschaftsvertrauen von Unternehmen und Verbrauchern, besonders in Europa, aufgrund erhöhter Unsicherheiten weiteren Schaden nimmt. (Februar 2025)